In der REHA oder ein Leben in der Anstalt

 

"Sie werden mit dem Taxi zur Reha transportiert", sagte mir die Dame vom Sozialdienst der Klinik. "Sie meinen wohl befördert werte Dame", entgegne ich, "transportiert werden Sachen oder Tiere, ich bin mit Verlaub ein Mensch und habe keine Lust auf der Pritsche eines LKWS - und sei es auch nur für zwei Stunden, mein Dasein zu fristen". Ich kann ihre Gedanken lesen: "Mach was Du denkst alter Sack, bist sowieso ein armes Schwein, frisch operiert und riskierst schon eine grosse Klappe." Irgendwie hat sie ja sowohl mit Schwein, als auch mit der Klappe das Richtige getroffen. Neue Herzklappe vom Wildschwein.
 Kurz nachdem ich im Krankenhaus wiederum einen an diesem Tag etwas grösseren Anteil der alltäglich verteilten Pillen sorgfältig in einen alten Zeitungsrest gewickelt und anschliessend im Papierkorb entsorgt habe, geht es dann los. Ich verabschiede mich vom Krankenhauspersonal nicht mit dem üblichen "Auf Wiedersehen", denn so schön wars dort auch wieder nicht.

Die ersten Worte der netten, ja sogar adretten Dame am Empfang der REHA-Klinik sind : "Hier ist Ihr Zimmerschlüssel, passen Sie gut darauf auf" Das ist sozusagen mein erstes Schlüsselerlebnis in dieser Anstalt. Was folgt ist ein schier endloser Papierkrieg mit Behandlungsplänen, Raumbelegungen, Arztterminen und einen "Zurechtfindungswegweiser von A-Z". Unter "A" ist u.a. vermerkt, dass man sich in einer Klinik befinde und striktes Alkoholverbot herrsche. Der Genuss von Alkohol könne aus disziplinarischen Gründen zur Entlassung führen.

Bei "C" wie Cafe steht, dass sich ein solches in der Ebene 5 befinde und man dort zu den festgelegten Öffnungszeiten allerlei Leckeres, auch Wein und Bier verköstigen könne. "R" wie Rauchverbot sei im gesamten inneren-und äusseren Bereich der Klinik vorgeschrieben. Tatsächlich ist auch auf jeder Ruhebank im Anstaltsfreiraum ein Rauchverbotszeichen angebracht. Jetzt weiss ich auch, warum ich hier auf dem gesamten Gelände keinen einzigen Indianer angetroffen habe.

Zunächst erhält man am Tag nach der Ankunft eine Therapiekarte. Das ist sozusagen der Tagesbefehl, wo, wann und zu was in welcher Kleidung man zu erscheinen habe. Ausserdem hat jeder Insasse morgens um sieben Uhr die verdammte Pflicht, sich zwar nicht schätzen zu lassen, stattdessen aber zu wiegen und das Ergebnis in eine ausgelegte Liste einzutragen. Manche haben so richtig ihren Spass an dieser frühen Untugend. Tägliche Gewichtszu-und abnahmen von bis zu 5 Kilo sind keine Seltenheit und bringen manche Statistik ins Wanken. Zurück im Zimmer werden Blutdruck und Zucker gemessen. Das macht man selbst. Passen die Werte den Ärzten nicht, wird die Tablettendosis fast bis ins Unendliche erhöht. Diabetiker habens gut. Blutzuckermessgeräte werden verschenkt, einschliesslich 10 Teststreifen. Muss der Patient später die Teststreifen selbst bezahlen, kostet die gleiche Anzahl 35 Euro. Also wird nicht täglich viermal, sondern lediglich einmal gemessen , jedoch viermal in die Liste eingetragen. Nach drei Tagen sind die Teststreifchen offiziell verbraucht, man holt sich kostenlos neue nach. Bei 20 Tagen sind dies 80 Streifen, ein Viertel davon wird verbraucht und schon hat man 200 Euro gespart.

Im Fahrstuhl hinab zum Frühstücksraum erfährt man von jedem, ob man es wissen will oder nicht, welchen Blutdruck er oder sie beim frühmorgendlichen Messen gehabt habe.

Der Speisesaal ist geteilt. Der grössere Teil ist für die Allesfresser, der kleinere für die Reduktionskostgänger, Diabetiker, Vegetarier und Nichtreligiöse. Man kann drei Menues wählen. Leider nicht nacheinender. Sonst würde man satt werden.

Die Tischnummer wird zugeteilt. Man ist sich fortan gegenseitig ausgeliefert. Da müssen dreimal täglich Leute mit mir zwar nicht aus einem Schüsselchen, jedoch am gleichen Tisch essen, die mich vielleicht anfangs gar nicht und nach drei Tagen grundsätzlich nicht mehr mögen.

Bevor die Anwendungen beginnen, wird man zur Ärztin gebeten. Die Gute stammt wie auch einige Schwestern im Haus aus Ländern, die einige Tausend Kilometer ostwärts von uns entfernt sind. " Bitte Obberkörrper freimachen" Sie stellt sich mit ihrem Hörgerät hinter mir auf. Mit meiner Atmung scheint sie nicht einverstanden: "Drehen um zu mir" Ich drehe um zu ihr und denke, sie sei über meine schöne OP-Narbe entzückt, weil sie ihr Mäulchen aufreisst. "Unten links Nummer 14a", denke ich beim Blick in ihren Schlund. Sie jedoch will nichts weiter, als dass ich begreife, tief durchzuatmen. Nachdem ich ihr wieder den Rücken zukehre, scheint sie mit meiner Atmungstechnik zufrieden.

Man trifft hier interessante Leute und welche, die versuchen, sich interessant zu machen. Die geneigte Leserin oder/und der gebeugte Leser dürfen mich zu letzteren zählen. Nehmen wir die Anwendung Hockertraining. Unter Anleitung eines Sportlehreres macht man auf einem Hocker sitzend Muskelübungen, je nach Angabe mit Ball, Tuch oder Stangen. Laut Befehlsausgabe hat jede und jeder in Trainingsanzug und Turnschuhen zu erscheinen. Pünktlich !!! Eine Teilnehmerin kam etwas verspätet. Sie wäre auch bei Pünktlichkeit aufgefallen. Nahe den 80, hochgestecktes Haar, darauf eine Sonnebrille, ein Schlecker-Regal voller Make.up, moderne auffallende Bluse, darüber ein pelzbesetztes Halbjäckchen. La grande dame! In dieser Aufmachung macht sie alle gewünschten Übungen kommentarlos mit. Und wäre dies nicht genug, kommt sie in dieser Aufmachung auch zum Ergometertraining. Hier scheint sich der Sportlehrer zu rächen. Vermutlich stellt er bei ihr die Wattleistung höher ein als bei uns. Sie schwitzt aus dem ganzen Fell, ihre Maskerade verflüssigt sich geradezu. Sie wird de fortan in unserer Gruppe nicht mehr gesichtet.

Ergometertraining, das ist etwas, was Spass macht. Die Fahrradgestelle stehen nebeneinander, jedes ist mit dem Pult des Trainers verbunden. So kann dieser die Leistung genau absehen. Nach etwa 10 Minuten muss jeder seinen Puls schätzen. Das klappt prima so plus minus 5. Nach einer knappen halben Stunde ist man befreit.

Zwischen den Anwendungen ist für jeden genügend Zeit, sich auszuruhen oder mal ins Internetcafe abzuzwitschern.

Bei Tisch sitzt neben mir ein Mann und wiederum daneben eine Frau, die interessante Dinge zu erzählen vermag. Sie und ihr Mann lieben die Reisen in den Hotelbussen und wagten sich mit ihrer ersten Reise nach Indien. Ich selbst hatte eine Reise in solch einem Gefährt auch schon in Erwägung gezogen, alleine die Platzangst hielt mich davon ab. Ihr gegenüber hat sich eine Schwäbin platziert, schlank, gepflegt. Sie hat beim Essen stets die Kalorientabelle zum Vergleich vor sich liegen und führt genau Buch.

Am dritten Tag unseres Daseins werden wir endlich offiziell vom Chefarzt herzlich willkommen geheissen. Wahrscheinlich zählt er während seines Routinevortrages die Leutchen und rechnet dabei seinen Verdienst hoch. Die sei keine Fango-Tango-Kur sondern eine reine Heil-Klinik. Meine Mitpatienten und mich sehe ich als Heilsarmee. Aber der gute Mann hat Recht, es gibt weder Tanzabende oder sonstige Veranstaltungen. Lediglich am Nachmittag ein Volksmusikduo oder abends ein Lichtbildervortrag über Merkelburg-Vorkommern.

"Bleiben Sie bitte auf Ihrem Zimmer bis der Arzt kommt" Das kann dauern. Ist es endlich soweit, ratz-fatz ist er wieder draussen. Ich glaube, er hätte nicht bemerkt, wenn ich nicht im Zimmer gewesen wäre. Zwei Tage später, gleiche Prozedur, diesmal mit Chefarzt. Ich erfahre, dass es mir gut geht, dass die Ärzteschaft mit mir und dem Heilungsverlauf sehr zufrieden sei, wenn ich Schmerzen hätte, wäre das normal und die Kollegin verschreibe eben noch ein paar ergänzende Medikamente. Damit war ich bei 12 Tabletten und 20 Tropfen täglich angelangt.

Die schönste Anwendung ist das Terraintraining, von uns "Freigang" genannt. Unser wirklich guter Sportlehrer führt uns langsam und sachte wieder an den Bewegungsablauf im Freien heran. Die Strecken werden mit der Zeit etwas länger, Treppen kommen hinzu und dann haben wir erreicht, dass wir auch ohne "Bewachung" einzeln frei gehen dürfen. Zugegeben, dieser Augenblick beinhaltet Glück, schliesslich war die OP erst 15 Tage her und auch etwas Angst, sich zu weit von der Anstalt zu entfernen.

Wenn man sich immer in und mit der gleichen Gruppe bewegt, kommt man ins Gespräch und lernt sich kennen. Kennen Sie Jennas und mein Buch Der Tod zu Gast bei Schmitt & Schmittchen . Warun nicht,gibt's doch überall zu kaufen ! Also der Schmitt lebt tatsächlich. Wir gehen manchmal spazieren. Er ist klein, etwa 1,65, etwas pausbäckig, kleiner Bart ums Kinn herum, Brille am Kettchen. Sehr gebildet. Er hat das grosse Latinum, kann sogar noch etwas altgriechisch, ein richtig netter Gelehrter, ruhig und sehr belesen. Es ist komisch, einen Menschen zu treffen, den man sich vorher genau so vorgestellt hat. Und Schmitt heisst er auch noch !

Es gibt auch Langweiliges hier. Es nennt sich Muskelentspannungstraining. Ich gehe mit dem befohlenen Thearpietuch unterm Arm in einen Raum, der angefüllt ist mit verstellbaren Liegestühlen, lege das Tuch auf einen derselben und nehme Platz. Wie die andern auch. Die erste Stunde ist ja noch interessant, man soll sich nach Name, Herkunft, Beruf usw. vorstellen. Aber dann: Entspannungsmusik, Faust ballen - das kann ich noch von Otto: Grosshirn an Kleinhirn- langsaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaam loslassen , es rieselt in den Fingerspitzen, Augen schliessen, es rieselt in dem kleinen Finger, es rieselt in dem...weiter weiss ich nicht, ich bin eingeschlafen. Von den anderen weiss auch keiner, wo was wie lange hingerieselt ist.

Einen Typen haben wir dabei, der hat schon alles gebrochen, was zu brechen ist. War früher Bauleiter, fiel mal in Afrika vom Mast und in was weiss ich wo vom Gerüst. Rückrat, linker Arm, rechtes Bein, Schulter, alles hatte der schon gebrochen und ich vermute zwischendurch auch mal ein paar Pils. Der hat die blöde Angewohnheit überall zwischenrein zu quatschen. Sehr zum Leidwesen der jungen Trainer hier.

Besuchszeit ist meist am Abend nach den An- und Abwendungen und natürlich Sonntags. Die Erwartungsfrohen sitzen in der Empfangshalle und starren angestrengt den Ankommenden entgegen. Erscheint die Ehefrau oder Onkel Herbert im Blickfeld, geht mancherlei in den Gesichtern der Patenten vor. Da gibt es Leute, die setzen blitzschnell ihr Leidensgesicht auf. Sie empfangen ihren Besuch mit den Worten: "Ach frag mich nur nicht wie es mir geht" Natürlich werden sie genau das gefragt. Glücklich wird nun Auskunft über Blutdruck, Zuckerwert, gehabter oder verhinterter Stuhlgang, verweigertes Essen gegeben . Es folgt der Hinweis, dass sich der Herr Professor viel Zeit genau für sie, bzw. ihn genommen habe, weil ausgerechnet diese Krankheit so kompliziert sei.

Andere wiederum freuen sich echt, ihre Angehörigen zu sehen. Küsschen hier, Küsschen da, "komm, ich zeig Euch mein Zimmer" "Grüsse von Tante Käthe, ach wie schön" Die nicht in der Erbfolge Aufgezählten fragen: "Wer ist Tante Käthe?" Die Schwaben haben noch eine besondere Variante auf Lager: " Ich würde Euch ja gerne zu einer Tasse Kaffe einladen, aber oben ist alles besetzt." Meine Frau behandyte mich und kündigte ihr Kommen an. " Wenn es sich nicht vermeiden lässt, komm ruhig"!

In jedem Einzelzimmer befindet sich noch ein Klappbett. Damit nun keine nächtlichen Zimmerwanderungen stattfinden, ist das Gastbett verschlossen und wird nur bei Bedarf an Ehefrauen oder die dafür gehalten werden, vermietet. Die Liegestatt heisst Klappbett, weil man sie aus-und einklappen kann. Ob weitere Vorhaben auch klappen, entzieht sich meiner Kenntnis. Beim Frühstück erzählt Ehefrau Mayer, sie habe in dem Bett gut geschlafen. "Wer schläft, sündigt nicht". Ihre Gegenüberin, eher eine gute Bekannte anstatt Angetraute, schaut ihren Nebenmann strahlend an und erwidert. " Stimmt Frau Mayer, aber wer sündigt, schläft besser!"

Sicherlich kennt jedermann den Spiegel, der immer montags erscheint. Manche Spiegel haben auch einen Vornamen, z.B. Rück , Aussen, Schmink usw. Meiner heisst Cholesterin. Der hat nicht Vorder-und Rück, sondern gute und schlechte Seite. Die Gute nennt sich HDL= Hab Dich Lieb und liegt bei mir so um die 27 bei einem Normalwert von 30. Die schlechte Seite heisst wie LIDL ohne I, also LDL, er treibt sich bei mir so um die 102 rum.

Beim Vortrag "Narbenpflege" sehe ich ihn wieder. Täglich läuft er mir über den Weg. Er sieht immer gleich aus: Leicht verwirrtes lockiges, etwas schmierig erscheinendes Haar, grämlicher Gesichtszug. Gut, mit einem Trainingsanzug kann man auskommen, beim Shirt muss das nicht unbedingt sein. Eigentlich ist es kein Shirt, es sieht grünlich geblümt, eher nach einem Schlafanzugoberteil aus, das vorne etwas über den Hosenbund hängt. Nach fünf Tagen denke ich, der hat vielleicht 5 Stück von der gleichen Sorte. Sonderangebot 250 Gramm T-Shirt zu 2,95. Ich trete näher an ihn heran: Es ist wirklich nur ein Einzelstück, das man tagsüber und nachts tragen kann. Kein Wunder, er hat bei der Gymnastik, bei den Vorträgen stets eine Menge Platz um sich und seine Tischnachbarn kommen immer erst, wenn er bereits fertig ist mit dem Essen. Und heute am sechsten Tag endlich ein neues Hemdchen, diesmal bläulich geblümt, Aber warum sagt ihm niemand, dass die Dusche in seinem Zimmer benutzt werden darf ?

Apropos Narbenpflege: Wir lernen, dass die Narben seitlich mit den (eigenen) Fingern massiert und keinesfalls cosmetiksiert werden sollen. Sämtliche sich in den Regalen befindlichen diesbezüglichen Cremes soll man dort belassen. Sie dienen nur dem Verdienst des Herstellers und des Handels.

Schonmal ein 25 Meter-Rennen mit Krücken bewaffneter Menschen gesehen? Noch nicht ? Dann kommen Sie zu uns zum Frühstück. Kaum ist die rote dicke Kordel, also das Zielband entfernt und schon geht's los. Wir bedauernswerten Herzkranken haben da keine Chance. Obwohl jeder seinen Platz hat, meinen einige, sie kämen zu kurz. Das liegt daran, dass sich die Zweibeiner am Buffet bedienen dürfen, die Krücken jedoch bedient werden. Gleiches gilt natürlich für Mittag-und Abendtisch. Ich bin der einzige Herzkranke, der sein Essen an den Tisch bekommt. Wieso ? Warum ? Ganz einfach. Ich habe mir vom Hausmeister zwei Krücken ausgeliehen.

Für meinen Tisch-Schräg-Gegenüber muss ich ein paar Zeilen mehr verwenden. Die ersten paar Tage wird er vom ZIVI per Rollstuhl zum Tisch gebracht und abgeholt. Sofort erklärt er uns, er habe Schmerzen im Fuss und eine Beule am Kopf, scheinbar habe man ihn bei der OP fallengelassen. Nach zwei Tagen benötigt er keinen Rollstuhl mehr, der Zivi kommt nicht immer pünktlich und manchmal auch zu früh, erklärt er uns. Im Laufe der Zeit erfahren wir, er ist pensionierter Marktforscher bei Stiftung Warentest, Reservemajor auf eine weitere Reservelaufbahn hoffend, da doch Raketenspezialist, Verkaufsstratege und Ausbilder, leider im unadligen Zweig der Familie, lege seine Hemden daheim selbst in den Schrank wie bei der Bundeswehr gelernt, habe vor kurzem seine private Fluglinie aufgegeben und nun die schwerste Herzoperation mit 4 Tage Koma hinter sich, wobei der Professor geäussert haben soll, so etwas müsse er selbst machen, dazu wäre kein normaler Arzt in der Lage. Zählt man alles zusammen, was der schon erlebt und gearbeitet haben will, muss er mindestens 147 Jahre alt sein. Erlaubt sich einer, seiner Tischnachbarn auch mal das Wort zu ergreifen, spinnt er sofort den Faden nach seiner Fasson weiter. Seinem Krankenhausprofessor habe er eine Dankenskarte und seiner Frau für deren Unterstützung während der schweren Zeit einen Fleurop-Blumenstrauss gesandt. Ausserdem bestimmt er, dass sich alle am Tisch mit "Du" anzureden hätten. Es gäbe keinen ordnungsliebenderen Mensch als er selbst. Plötzlich will er von allen wissen, was sie von ihm hielten. Mein Tischnachbar grinst ihn an und bekundet Respekt vor solch einer Persönlichkeit, die es sich nicht nehmen liesse, an unserem Tisch Platz zu nehmen und sich zu uns herabzulassen. Die drei Damen am Tisch äussern sich nicht, da ihnen vorher gesagt wurde, sie hätten als Frauen sowieso von nichts viel Ahnung. Mir gegenüber behauptet er, ich sei ihm, was er bis jetzt aus meinen Mund erfahren habe, zu unerfahren und in gewisser Weise auch unordentlich, was er von Herzen hasse, Ordnung sei nicht das halbe sondern das ganze Leben. "Na, dann habe ich ja recht mit meiner Einschätzung" lächele ich ihn an, "ich denke mir, Sie legen neben Ihren Bildschirm drei Bleistifte verschiedener Stärken mit angespitzten 1,2 , 1,6 und 1,9 mm, falls Ihnen einmal die Tastatur ausfällt". Ich gebe zu, nicht besonders geistreich, aber immerhin bringe ich Ihn damit ins Grübeln und für drei Sekunden zum Schweigen. In der Loggia berichtet er doch tatsächlich, zwei Panzer zerstört zu haben. Den Hinweis, er sei zu diesem Zeitpunkt doch erst 12 Jahre alt gewesen, übergeht er kommentarlos. Gipfel aller Äusserungen: Wir sitzen im Hauscafe zusammen. Plötzlich berichtet er, die ihm schon vor Jahren verordneten Betablocker haben bei ihm Impotenz hervorgerufen und sein Schniedelbutz sei nach vorne abgeknickt und nach innen gewachsen. Nach Rücksprache mit seinem Arzt onanierte er täglich mehrmals, was sein Bestes Stück wieder in die richtige Richtung brachte. Genug damit, mit der Zeit ght einem der Kerl auf die Nerven.

Toll ist der übergrosse Fernseher im Loggiabereich. Dafür gibt es zur Zeit drei seinwollende Platzhirsche. Noch vor dem Abendessen geht's los. Einer flucht, weil das verdammte Ding mal wieder keinen Laut von sich gibt. Der Nächste will auch mal ran, drückt auf alle möglichen Knöpfe und irgendwann erscheint sowohl Bild und auch Ton. Natürlich passt dem Ersten wiederum das eingestellte Programm nicht. Nun kommt der Dritte hinzu, lässt lautstark erklingen, dass man heute keine Nachrichten schauen brauche, er hätte schon alles im Radio gehört. In der Folge wird wie wild hin-und her gedrückt, mal von diesem - mal von jenem bis endlich irgendwo Werbung kommt. " Das müssen wir ja nicht unbedingt sehen", sind sich die drei plötzlich einig und schalten das Gerät ab.

Im Foyer wird ein Verkaufsstand aufgebaut. Feilgeboten werden Kettchen, Ringelchen, Handtäschchen. Und Weihnachtspäckelchen Inhalt Überraschung. "Warum kaufen denn hier nur die Frauen und nicht die Männer?", frage ich die Verkäuferin. Ihre Antwort erinnert mich an die Worte des Chefarztes: "Wissen Sie, das hier ist keine richtige Kurklinik, das hier ist REHA." Sie fährt fort: In Bad ... zum Beispiel kaufen die Männer wie verrückt, weil da jeder nach spätestens zwei Tagen eine Freundin hat, nur nicht am Wochenende, da kommen die Ehefrauen." Ich bin froh, nicht in Bad ... zu sein. Meine Frau traut mir auch werktags nicht.

Zum Kochkurs melden sich zu meiner Überraschung mehr Männer als Frauen. Eine wunderschöne grosse Küche. Die Therapeutin verteilt die Rezepte. Ich darf mit einer gestandenen Hausfrau die Lauchsuppe kochen, andere das Hauptgericht, den Salat und die Kekse. Meine Partnerin übernimmt das Regiment. Sie zeigt mir, wie man das Lauchgemüse wäscht. Ohne mir was zu denken, entferne ich zugleich die wie man bei uns sagt, Grasblätter, schneide das Gemüse längs und dann schräg in passende Stücke. Öl zum Erhitzen in den Topf, anschl. die Lauchstücke zum Dünsten. "Das machen Sie nicht zum ersten Mal", sagt Fräulein Lehrerin. Meine Regimentsführerin steht sprachlos daneben. "Na ja", sage ich grosszügig," Sie dürfen schon mal einen Telöffel Haferflocken einrühren". Steht so im Rezept, ist auch ganz prima. Das Pürieren nehme ich ihr auch noch ab und was macht die Gute? Sie haut viel zu viel Muskatpulver rein. Aber gelobt wird das Süppchen doch, zumal es mit etwas saurer Sahne verziert auf den Tisch kommt.

Kurz nach sieben klingelt mein Telefon: "Sie habben verrgessen Blutentnamme" Hab ich tatsächlich. Und zwar absichtlich. Mein Blut gehört mir! Nützt aber nichts. Sie zapft mich trotzdem an. Und rächt sich dabei !

Letzter Tag. Abschlussgespräch bei Ärztin. Beim Belasungs-EKG habe ich 90 % Leistung gebracht, die Zuckerwerte sind schlecht, sie empfiehlt höhere Dosis Tabletten und erlaubt mir, bereits am Sams- statt wie vorgesehen, am Sontag die Anstalt zu verlassen.

Ich bin wieder in meiner Burg. Reicher an Erfahrungen und Medikamenten.

 

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